Eigentlich müsste man schreiend raus

Man hat’s nicht leicht als Geschäftsreisender. Das durfte ich wieder mal erfahren bei Reisen mit der Deutschen Bahn. Denn die ist für allerlei Überraschungen gut, im Guten wie im Schlechten. Das Erlebnispendel neigt sich in meinem Fall aber mehr zum Negativen und ähnelt ein bisschen dem der Luftfahrt, wo auch nichts, aber auch gar nichts klappt. So jedenfalls die Erfahrungen meiner letzten zehn Flüge binnen vier Wochen.

Ja ich weiß, Beschwerden wollen sie gar nicht gerne hören, die Airlines wie die Bahn. Aber sie sorgen nun mal für Verdruss im Übermaß. Das Event: meine geschäftliche Bahnreise im ICE  nach Düsseldorf am Dienstagmorgen. Ich muss in aller Herrgottsfrühe nach Düsseldorf. Ziel: Eine internationale Veranstaltung von ICE-Hersteller Siemens Mobility. Mein Zug: ICE 822.

Auf dem Perron geschätzte 500 Fahrgäste, viele von ihnen wollen zur branchenführenden Chemiemesse Achema nach Frankfurt. Die achtteilige Solo-Garnitur des ICE 3 steht bereit für seine Fahrt nach Essen. Ohne Sitzplatzreservierung in der 2. Klasse keine Chance. Und die meisten haben wohl nur das Holzklasse-Ticket. Also Reisen im Stehen. Pünktliche Ankunft in Würzburg um 06.55 Uhr. Dort stehen nochmal an die 200 bis 300 Fahrgäste an Gleis 8. Darunter mindestens die Hälfte Businesstraveller und Pendler. Es füllt sich. Elendes Gedränge, mürrische Mienen, dazwischen immer wieder welche, die sich mit teils monströsem Gepäck durch die stehenden Massen quetschen. Das eine oder andere böse Wort fällt. Kein Wunder. Mit Ausnahme derer, die für teures Geld einen Sitzplatz reserviert hatte, dürfen alle anderen den Komfort eines ICE genießen. Im Stehen in den Mittelgängen, neben dem WC-Türen, in den Wagenübergängen. Die Steherei, das Herumgeschubse, die Gefahr umzufallen und andere stehende LeidensgenossInnen umzureißen ist latent. Und dass man bei einem solchen Theater gar nicht erst arbeiten kann, wird mir ganz schnell bewusst. Bequem reisen mit der Deutschen Bahn im Jahr 2018. Okay. Es geht pünktlich weiter und der nächste Halt nach flotter Fahrt ist Aschaffenburg. Oh Gott, dort droht sich das Desaster auszuweiten. Nochmal um die 100 bis 200, die mitwollen. Die meisten davon Pendler, die in Frankfurt arbeiten. Verrücktes Gedränge. Eigentlich müsste man schreiend `raus.

Ich habe mal gehört, dass es für die Herren über die Kapazitäten in den Fernzügen normalerweise darauf ankommt, die ICE-Flotten so auszulegen, dass sie in Spitzenzeiten nicht vollends überlastet sind. Ich frage mich, welcher Art diese Planung ist. Weiß denn keiner dieser Planer, dass es gerade auf den Strecken von Süddeutschland Richtung Rhein-Main- und Ruhrgebiet sowie nach Hamburg regelmäßig ziemlich hoch hergeht, sprich, die ICE am Morgen und abends immer rammelvoll sind? Wahrscheinlich ist es ihnen egal, Hauptsache der Zug, pardon, der Rubel, rollt. Während es bei vielen namhaften Bahngesellschaften in dieser Welt keine Stehplätze gibt, dürfen die Züge der DB auch fahren, wenn es viel zu wenige Sitzplätze gibt. Schließlich hat die Bahn in Deutschand keine Sitzplatz- sondern nur eine Beförderungspflicht. Aus Sicherheitsgründen dürfen die ICE zwar nur bis zu einer Überfüllung von 200 % auf die Reise gehen. Angeblich passiert dies äußerst selten, dass das Limit überschritten wird. Aber schon bei 110 % beginnt der Affenzirkus und bei 150 oder fast 200 % ist das Reisen selbst für den sitzenden Fahrgast eine Tortur. Einziger Vorteil, den er vielleicht haben kann: Er könnte „schwarz fahren“, will die Zugbegleiter sowieso kaum durchkommen und mit ihren Nerven nicht minder `runter sind als die Passagiere.

Aber es kommt noch besser. Einfahrt in Frankfurt Hauptbahnhof. Dort rollt unser ICE 822 ganz ganz langsam auf einen dort bereits wartenden ICE 3, um an diesen anzukoppeln. Schlagartig strömen die Massen aus unserem ICE und auf einmal ist viel Platz in meinem Zug, weil ja noch einer dran hängt. Halb leer aber dafür pünktlich rauschen wird mit der Doppelgarnitur und mit Tempo 300 km/h nach Düsseldorf. Dort und nach nur einem Zwischenhalt in Köln-Deutz kommen wir auf die Minuten pünktlich an. Das darf man ja auch mal erwähnen, weil ansonsten viel über die Verspätungen der Bahn gelästert wird. 

Meine Rückreise zwei Tage später nicht minder spektakulär: ICE 1223 am Vormittag von Köln über Hamm-Paderborn und Kassel nach Würzburg und weiter zu meinem Dienstsitz. Zum Zuglauf muss ich auch etwas sagen; denn der ist ziemlich kurios. Er beginnt in Darmstadt und führt beinahe in einem Vollkreis über Frankfurt und Köln und weiter über Hamm und die Mitte-Deutschland-Trasse via Soest, Lippstadt und Paderborn sowie Altenbecken nach Kassel, von dort weiter über Würzburgund Nürnberg nach München.

Klar, auch dieser ICE 3, wieder eine Solo-Garnitur, ist zu gut 100 % belegt. Zum Glück habe ich einen Sitzplatz, zwar auch nur in der engen 2. Klasse, aber ich muss wenigstens nicht stehen. Und er rollt ziemlich gemächlich über die Mitte-Deutschland-Verbindung via Soest, Lippstadt, Paderborn und Altenbeken nach Kassel. An Arbeiten auch diesmal nicht zu denken denn vor und mir junge Familien mit Kleinkindern und einer Geräuschkulisse, die wiederum jegliche Arbeitsbemühungen zunichte machen. Nun war ich auch mal Familienvater oder bin es och; deswegen will ich mich auch gar nicht beschweren. Kinder braucht das Land schließlich und dann muss man eben etwas Nachsicht üben. Aber ich habe mich dann doch sehr gefreut, dass es nun ruckzuck über die Schnellfahrstrecke nach Würzburg gehen würde.

Aber was ist das? Kaum aus Kassel-Wilhelmshöhe heraus macht unser ICE einen Schwenk und rollte auf einer Altstrecke über Meldungen Richtung Bebra und weiter über die alte Nord-Süd-Trasse vorbei an Bad Hersfeld und Hünfeld nach Fulda. Statt 30 Minuten Fahrzeit sind’s 75 Minuten. Ob das noch für meinen Anschlusszug in Würzburg reicht, wenn mein ICE 45 Minuten später dort eintrifft? Naja, ein Schönes hatte der Umweg dann doch: Endlich wieder mal die Landschaft genießen, durch die der Zug rollt und nicht auf dunkle Tunnel- und verschmierte Schallschutzwände starren zu müssen. Und ach ja, beinahe hätte ich es vergessen, das Gerücht im Zug, dass sich wieder mal einer auf die Gleise gelegt haben soll, hielt gottseidank nicht Stand. Bauarbeiten an der Schnellstrecke bedingten die Umleitung.

In Würzburg angekommen wartete schon mein Regionalexpress. Eine dreiteilige Triebzuggarnitur; da sollte doch nichts schief gehen. Doch weit gefehlt, auch dieser Regionalexpress, der um die 700 Sitzplätze verfügt, brechend voll. Was ist denn heute los? Tja, und dann starteten wir einfach nicht. Also die Reststrecke wieder mal stehen. Nach ein paar Minuten dann die Durchsage: „Verehrte Fahrgäste, wegen eines technischen Problems verzögert sich unsere Abfahrt“. Das kann ja heiter werden. Die Minuten verrinnen. Dann eine weitere Durchsage: „Es wurde eine Notbremse gezogen, wir halten an der nächst möglichen Stelle“ ??? Wir stehen doch noch im Würzburger Hauptbahnhof, was soll denn das heißen? Nach gefühlt weiteren endlosen Minuten setzt sich der Zug plötzlich in Bewegung. Fortsetzung folgt. Gernot Zielonka